„Die Frage des Transfers und der wechselseitige Austausch zwischen Praxis und Forschung ist eine zentrale Herausforderung der frühkindlichen Bildung und ihrer Qualitätsentwicklung“ – dies unterstrich die BAG-BEK-Vorsitzende Prof. Dr. Tina Friederich in ihrer Begrüßung. Die Weiterbildung sei dabei ein ganz wichtiger Baustein, um das neue Wissen in die Praxis zu bringen. Doch bisher gebe es im frühpädagogischen Bereich wenig empirische Erkenntnisse zu ihrer Wirksamkeit und Nachhaltigkeit. Sie freue sich daher sehr, gemeinsam mit den rund 80 Teilnehmer*innen aus allen Ebenen der frühkindlichen Bildung neue Erkenntnisse und verschiedene Perspektiven auf den Transfer gemeinsam zu diskutieren und so ein wenig mehr Licht in die Blackbox des Transfers zu bringen.
In seinem Auftaktvortrag setzte Prof. Dr. Bernhard Kalicki vom DJI dafür bei den Grundprinzipien des Lernens und der intrinsischen Motivation an. Hierfür bedürfe es dreier Faktoren, nämlich Kompetenzerleben, Autonomie und soziale Einbindung. Die Anforderungen dürften dabei weder zu schwer noch zu einfach sein, es dürfe kein Druck oder Zwang ausgeübt werden und wichtig sei ein informatives und dabei nicht unbedingt nur positives Feedback. Die Frage sei nun, wie für den Transfer entsprechende günstige Bedingungen geschaffen werden könnten.
Paradigmenwechsel im Transferverständnis
Bernhard Kalicki markierte an dieser Stelle auch einen „Paradigmenwechsel im Verständnis von Transfer und Wissenschaftskommunikation“. So sei der Transfer zunächst von einem hierarchischen und unidirektionalen Ansatz, von einem Expert*innen-Laien-Verhältnis bestimmt gewesen. Dies habe sich hin zu einem dialogisch-transformatorischen Verständnis gewandelt, denn jede Ebene im System der frühkindlichen Bildung habe eigene Perspektiven und eigene Handlungslogiken und für den Transfer sei die jeweilige Kontextualisierung unabdingbar. Dadurch entstünde beim Transfer ein „dritter Raum“ mit Transformationsprozessen.
Im Hinblick auf die für die KiTa-Praxis entscheidende Prozessqualität erläuterte der Psychologe ein handlungstheoretisches Kompetenzmodell, das von der Kompetenz zur Performanz in der konkreten Alltagssituation führt. Der Transfer, so Bernhard Kalicki, könne aber nicht auf die KiTa beschränkt werden, sondern notwendig sei ein „kompetentes System“ auf der Mikro-, Meso- und Markroebene – vom Interaktions-Alltag in der KiTa über Träger, Aus- und Weiterbildung und die Wissenschaft bis hin zu den politischen Ebenen von Ländern und Bund. Zwischen diesen Ebenen sei der Informationsfluss und der Dialog zu gewährleisten, um von einem Input über den Prozess zur größtmöglichen Wirkung im System zu gelangen. Im Gesamt-System sei auch der Wissenstransfer in die Fachpolitik über Politikberatung sowie Monitoring und die Sozial- und Bildungsberichterstattung unabdingbar.
Mit einem Blick auf die Vergangenheit stellt Bernhard Kalicki fest, dass frühpädagogische Ansätze häufig mit und aus der Praxis entwickelt worden seien. Als Beispiele führte er Montessori, Reggio, den Situationsansatz, Early Excellence oder auch die alltagsintegrierte Sprachbildung an. Im Hinblick auf gegenwärtige Landes- und Bundesprogramme führe heute ein idealtypisches Vorgehen von der Konzeptentwicklung (durch Expert*innen) über die modellhafte Umsetzung und Evaluation bis zum flächendeckenden Ausrollen in die Praxis – zum Beispiel über Teamentwicklung und Weiterbildung. Grundsätzlich müssten neben der Qualifikation des pädagogischen Personals und der Leitung aber auch Trägerstrukturen und die Trägerqualität, das Ausbildungssystem und nicht zuletzt auch die Bedarfsplanung über die Jugendämter in den Blick genommen werden. Als problematisch auf dem Weg zu einem kompetenten System stelle sich dabei allerdings „die Fragmentierung des Systems und seine uneinheitliche Steuerung“ dar.
In diesem Sinne forderte Bernhard Kalicki für einen gelingenden Transfer auch eine „kohärente Steuerung des Systems“ und nicht zuletzt weitere Investitionen in die frühe Bildung. Als innovative Wege vom Transfer hin zu einer Transformation von Wissen wies er abschließend auf „Open Science“- und „Citizen Science“-Ansätze hin.
Transfermanagement und Organisationsentwicklung
Im Anschluss nahm Prof. Dr. Daniela Ulber von der HAW Hamburg den Transfer und die Nachhaltigkeit in der Weiterbildung in den Fokus. Sie konstatierte dabei eine deutliche Transferlücke, die heute in den meisten Fällen nach einer Weiterbildung entstünde. Als Transfer umriss sie eine „aktive und systematische Multiplikation von Lerninhalten in ein Kita-Team oder Teile davon sowie deren anschließende kontinuierliche Realisierung in der pädagogischen Praxis mit dem Ziel der Verbesserung der pädagogischen Qualität.“ Mit einer WiFF-Expertise von Kristine Blatter & Regina Schelle könne das als ein „komplexer, interaktiver und von Subjekten und deren Deutungskonzepten geprägter Prozess“ beschrieben werden.
In Abgrenzung von unidirektionalen und eindimensionalen Transfer-Modellen unterstrich die Professorin für Institutionsentwicklung und Management die Bedeutung der systemischen Perspektive und der systematischen Organisationsentwicklung für den gelingenden Transfer. Notwendig sei ein nachhaltiges Transfermanagement und hier sowohl eine transferförderliche Ausgestaltung der Weiterbildung wie auch ein transferförderliches Arbeitsumfeld.
Für die transferförderliche Weiterbildung führte Daniela Ulber „die Nähe von Lern- und Funktionsfeld sowie eine konstruktivistische und situierte Gestaltung“ sowie auch die Integration von Transfermodulen an. Eine Meta-Analyse der WiFF ergab darüber hinaus noch folgende transferförderliche Merkmale einer Weiterbildung:
- Eingehen auf Fragen der Teilnehmer*innen
- Diskutieren von Fallbeispielen und Schwierigkeiten des Transfers
- Gemeinsame Reflexion
- Zur Verfügungstellung von Unterlagen und Materialien
Für die Transferförderung im Arbeitsumfeld KiTa, so Daniela Ulber, sei es wichtig, die Multiplikation des neuen Wissens sicherzustellen, Anwendungsgelegenheiten zu schaffen, Transferanreize zu schaffen sowie formativ zu evaluieren und ggf. entsprechend nachzusteuern. Ideal wären im Nachklapp der Weiterbildung auch eine externe Prozessbegleitung, die Fachberatung oder Austausch-Zirkel. Für die Transferförderung in der KiTa würde es dabei entscheidend auf die Leitung und die zur Verfügung stehenden (Zeit-) Ressourcen ankommen.
In der Folge stellte Daniela Ulber drei Thesen zum gelingenden Transfer vor:
- Transferprozesse ins Team können nur bei einem positiven, innovationsförderlichen Teamklima realisiert werden
- Erfolgreicher Transfer ist Bestandteil von Organisationsentwicklung bzw. bildet den Impuls dafür
- Adäquate Transferunterstützung benötigt eine Organisationsdiagnose als Basis
Abschließend räumte Daniela Ulber eine Forschungslücke im Transferbereich ein, „denn wir wissen noch nicht viel Systematisches“. Allerdings gebe es viel qualitatives spezifisches Erfahrungswissen in den Einrichtungen sowie bei Fortbildungsanbietern, Trägern und Fachberatungen. In diesem Sinne forderte sie: „Wir brauchen einen Transfer von erfolgreichem Transfermanagement durch intensivierten Austausch und Evaluation von guter Transferpraxis“.
Anschlussfähigkeit und Kontextualisierung
Die Fachvorträge wurden im Anschluss in vier verschiedenen Workshops zur „Rolle der KiTa-Leitung beim Wissenstransfer“, zu „Transfer durch Fachberatung“, „Transfer durch Weiterbildung“ sowie zum „Transfer durch Zusammenarbeit von KiTa und Forschung“ konkretisiert und gemeinsam weiter diskutiert.
Die Ergebnisse flossen schließlich in eine von BAG-BEK-Vorstand Ulrike Glöckner moderierte Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen aus Forschung, Weiterbildung, Ausbildung und Praxis ein. Einleitend umriss Prof. Dr. Tina Friederich noch einmal die „ungeheure Komplexität der Transferprozesse zwischen den verschiedenen Ebenen des Systems der frühkindlichen Bildung“. Dr. Thomas Südbeck unterstrich als Leiter einer Weiterbildungseinrichtung und nifbe-Vorstand, dass Transfer anschlussfähig sein muss an die Praxis von KiTas und dass die jeweiligen Kulturen der Einrichtung zu berücksichtigen sind. Wichtig seien hier „eine Lernkultur der Wertschätzung“, die Teilnehmer*innen-Orientierung, der kollegiale Austausch sowie die „Gelegenheit zum Probehandeln“. Prof. Dr. Annette Schmitt von der Hochschule Magdeburg-Stendal ergänzte, dass die Praxis durch die Weiterbildung einen unmittelbaren Mehrwert spüren muss und dass dafür immer die jeweilige Kontextualisierung das A und O sei. Statt spezieller Programme komme es auf die „Vermittlung von grundlegenden Kompetenzen für die Fachkraft-Kind-Interaktion“ an. Im Idealfall würden dabei Fach- und Erfahrungswissen sowie die reflexive Haltung in Übereinstimmung gebracht.
Für die Ausbildung zeigte Anke Mösenthin auf, wie Transfer hier konkret mit an der Praxis orientierten Lernsituationen gefördert wird. Sie brach auch eine Lanze für die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA), um Theorie und Praxis von Anfang an eng zu verzahnen. Dass Transfer aber auch auf ausreichende Rahmenbedingungen angewiesen ist, verdeutlichte Siegrun von Barnitzke als AWO-Fachberaterin, die für ihre KiTas schlichtweg fehlende Ressourcen für Begleitung und Anleitung konstatieren musste. Grundsätzlich unterstrich sie aber auch die Bedeutung von Fachberatung beim wechselseitigen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis.
Im Hinblick auf mögliche Formate stellte Thomas Südbeck klar, dass die jeweiligen Formate zum jeweiligen Thema sowie für das jeweilige Team passen müssten. Als erfolgreich habe sich im nifbe beispielsweise das Format der Inhouse-Qualifikation und der bedarfsorientierten Prozessbegleitung herausgestellt. Entscheidend für die Frage der Formate sei das Ziel, so Tina Friederich. Schon ein Vortrag könne für die reine Wissensvermittlung sehr hilfreich sein, aber Haltungsveränderungen bräuchten viel Zeit und eine längere Begleitung oder Coaching. Letztlich gebe es aber „kaum empirisch abgesicherte Erkenntnisse zur nachhaltigen Wirksamkeit von Weiterbildung im frühpädagogischen Bereich“ und diese hänge auch von den sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Strukturen ab.
Transformationsräume schaffen
Einig waren sich die Diskutant*innen darin, dass Transfer als ein wechselseitiger Prozess zwischen den verschiedenen Ebenen und Akteur*innen der frühkindlichen Bildung zu denken ist. Es komme dabei darauf an, den Dialog und den gegenseitigen Austausch systematisch zu gestalten und Transformationsräume zu schaffen.
Präsentation Kalicki
Präsentation Ulber
Präsentation Südbeck / Hartwig / Schmidt-Hood
Karsten Herrmann